232 Das Dilemma der Sozialwissenschaften

In der Logik ist alles ganz klar. Das Spiel geht so: es gibt eine Behauptung, entweder findet sich ein Gegenbeispiel oder die Behauptung gilt bis auf Weiteres (bis zum Finden eines Gegenbeispiels) als gesetzt.

Das ist das sogenannte Falsifikationsprinzip, also die Tatsache, dass eine Behauptung jederzeit durch ein Gegenbeispiel widerlegt werden kann, jedoch nicht durch alle Beispiele der Welt als ‚wahr’ bewiesen werden kann.

Außer freilich mathematische Beweise, also solche reinster Logik, aber niemals realweltlich. Das ist zugleich der Garant für den Erfolg der Wissenschaft, als Prinzip und Arbeitsweise: Falsifikation bringt eine Behauptung zu fall und erfordert Weiterentwicklung, Nachdenken, Verbesserung.

Niemals dagegen ist etwas fest gefügt und unwiderruflich. Es gibt in der Naturwissenschaft keinen Beweis, es gibt nur hinreichende Begründungen etwas *vorläufig* als richtig anzusehen – aber immer nur auf Abruf. Es gibt also kein (!) ‚Verifikationsprinzip‘, das Wahrheit ein für alle Mal und für immer beweisen würde. Es gibt lediglich das Gegenstück, dass ‚Falsifikationsprinzip‘, das beweisen kann dass eine Aussage jetzt hier und für alle Zeiten falsch ist. Damit einher geht, dass jeder, der das so gerne bemühte ‚das ist wissenschaftlich bewiesen‘ zitiert, nur beweißt, dass er selbst keine Ahnung hat.

Und in den Sozialwissenschaften bemüßigt man sich in allen Diskussionen beständig derselben Vorgehensweise. Aber zu unrecht. Es ist falsch. Hier ist, was ich meine:

Oft genug finden sich aussagen wie: ‚Frauen sind benachteiligt‘. Und schnell findet sich ein Gegenbeispiel: Aber ich kenne eine Frau, die ist klar nicht benachteiligt!

In den Naturwissenschaften ein klares Szenario. Behauptung, ein Gegenbeispiel, Behauptung tot.

Ja, da. Aber nicht hier!

Die Sozialwissenschaften sind regelrecht dadurch gekennzeichnet, dass sie keine klaren naturwissenschaftlichen Gesetze aufstellen können.

Warum ist das so? Weil sie stets mit Mengen von nicht völlig gleichartigen Mitgliedern hantieren. Die Menge der Frauen ist keineswegs eine so homogene Gruppe, wie etwa die Menge der geraden Zahlen oder die Menge der Wasser-Moleküle. Menschen (und nicht nur die) sind normalverteilt. Das bedeutet, es gibt in praktisch jeder Hinsicht nicht nur völlig gleichartige Gruppenmitglieder, wie bei den Zahlen oder den Molekülen, sondern im Gegenteil sind alle Gruppenmitglieder sogar ‚Individuen‘, also in so vielen Eigenschaften voneinander verschieden, dass es schon schwierig ist, überhaupt Gruppen zu bilden.

In einer normalverteilten Gruppe wird es aber immer möglich sein, für absolut jede Behauptung auch ein Gegenbeispiel zu finden. Wenn wir sagen, alle Frauen sind kleiner als Männer, finden wir garantiert eine Amazone von 2 Metern, die mit Fug und Recht größer ist, selbst als der Durchschnitt der Männer.

Das Problem ist, dass eine so geführte Diskussion falsch ist, nicht zielführend, im Argument sinnlos. Denn es ist von vornherein klar, dass sich für jede Behauptung ein Gegenbeispiel finden wird – ebenso wie einige die Behauptung unterstützenden Beispiele. Daher arbeiten die Sozialwissenschaften so oft mit statistischen Mitteln, weil diese selbst bei dem Durcheinander, das ihre Gruppen und Begriffe oft bieten, eine Handhabe bieten wenigstens irgendwas über irgend ein Durchschnitts-Mitglied, also etwa eine Durchschnitts-Frau (die dann allenthalben Anlass zu Gelächter bietet, mit ihren 2,3 Kindern und 0,8 Berufen) auszusagen.

Aber bitte, das (Schein-)Argument, ‚Ich kenne da aber ein Gegenbeispiel‘ ist leider völliger Blödsinn, also wenn es nach mit geht: bitte einfach unterlassen. Das führt nicht weiter, sondern nur in eine Sackgasse und langweilt alle Beteiligten, weil es kein Ergebnis befördert sondern nur Sauerstoff verschwendet.

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