Bildung. Einer der zentralen Begriffe der menschlichen Welt, da er nicht weniger als die Weitergabe sämtlichen Wissens und sämtlicher Kulturtechniken an die jeweils nächste junge Generation umfasst. Oft verbunden mit der Hoffnung, diese möge von den althergebrachten Überzeugungen und Mitteln profitieren und sie an geeigneten Stellen nach ihren Gutdüngten überarbeiten.
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Doch an der Attribution ’sämtliche‘ ziviliksatorische Errungenschaften von bleibendem Wert, eröffnet sich aber zugleich die vollständige Unerfüllbarkeit dieses Vorhabens. In Anbetracht der Situation, dass beispielsweise zwischen 1980 und 1990 grob geschätzt dieselbe Menge an neuem Wissen erarbeitet wurde, wie in den Jahrhunderten seit Gallilei davor, wird das ganze Ausmaß des Debakels sichtbar. Nehmen wir hinzu, dass Bildung mehr umfasst als Faktenwissen und Wissenschaft, sondern auch Methoden, Kultur und Kunst, Umgangsform samt aller Zwischentöne des zivlisierten Umgangs, sehen wir die Ursachen des beinahe zwangsläufigen Versagens des Bildungssystems klar. Bildung zu vermitteln und zu erwerben ist offenbar ein mit derarter Komplexität geschlagener Vorgang, dass stets nur ein Ausschnitt aller verfügbaren Kenntnisse tradiert werden können, was wiederum durch das gleitende Fenster des angesagten Bildungkanons zu Moden und Stömungen in Kultur und Zivilisation führt – und zum in Vergessenheit geraten der anderen Bereiche.
Leider wird der Begriff ‚Bildung‘ in der Praxis zudem recht inkonsistent gebraucht, was einerseits die eben erwähnte grundlegende Komplexität wiederspiegelt, andererseits auch eine genaue Analyse seines Umfangs und Inhalts verhindert und seine Bedeutung damit nachhaltig verwässert.
Bildung wird in der Praxis demnach konsequent mit mindestens drei sehr diversen Bedeutungen verwendet:
Die am weitesten von dem zielführenden Verständnis des Begriffs entfernt ist wohl die Herangehensweise von Dietrich Schwanitz in seinem guten interessanten Buch ‚Bildung – Was man wissen muss‘. Hier wird Bildung verstanden als ein Kanon von Fakten und Fertigkeiten, der im Konsens einer Bevölkerungsschicht, nämlich der ‚Gebildeten‘, für so etwas wie die Iniitiertheit der Beteiligten steht. Es handelt sich also um ein abgeschlossenes System von Themen, Inhalten und Verhaltensnormen, das beherrscht werden muss, weil es als beherrscht vorausgetzt wird, will man sich zu jenen Gebildeten gezählt wissen. Schwanitz selbst bezeichnet diese Idee von ‚Bildung‘, die wohl eher nahe bei einer ‚Ausgebildetheit‘ rangiert (und am Ende auch eine ‚Eingebildetheit‘ umfassen mag), als eine Art von elitärem Spiel. Die Starrheit des darin enthaltenen Bildungskanons sowie die irrationale Auswahl der Inhalte weißt diese Herangehensweise als eine des mindestens vorvorletzten Jahrhunderts aus. Mithin nehmen wir diese ‚Bildung‘ als gegeben und befassen uns mit zeitgemäßeren Sichtweisen. Jene ‚Bildung‘ soll eher als Unterscheidungsmerkmal dienen zwischen denen ‚oben‘ und den Anderen ohne Privilegien, aber keineswegs dazu dienen, einer Mehrheit eine sinnvolle Basis an Fakten und Methoden zu vermitteln, die im Gesamtzusammenhang einer sich fortentwickeln wollenden Gesellschaft und Zivilisation produktive und talentierte Individuen hervorbringen soll und will. Diese letztere modernere Konzeption von Bildung, die ein modernes und sinnvoll zeitgemäßes Bildungssystem vermitteln sollte und will, entspricht sehr dem in unserem Bildungssystem seit nunmehr etwa einem Jahrhundert praktizierten. Über Schule und Hochschulen werden eine als relevant betrachtete Auswahl an Fakten, Zusammenhängen und Methoden vermittelt, die am Ende dazu führen sollen, produktive, zivilisierte und kultivierte Individuen zu formen, die den Maximen ihrer Zivilisation entsprechen, diese selbst aktiv bejahen und in positiver und optimistischer Weise der Weiterentwicklung dieser Zivilisation beitragen.
Nun kommt Weiterentwicklung in einem ausgereiften und bereits länger schon existierenden System häufig nicht weit oder garnicht zustande ohne vorherige Überzeugungen erfolgreich in Frage zu stellen und zu verändern oder je nach Grad ihrer Wandelbarkeit auch wahlweise zu stürzen und zu zerschmettern (intellektuell freilich). Der Grund für die zuweilen notwendige Überzeugungsgewalt mag nicht selten weniger in der Agressivität der Veränderer liegen als in der störrischen Unbeweglichkeit der erstarrten etablierten Vorstellungen. Ungut und in sich schlüssig ist zudem, dass oft genug gerade die erstarrtesten und unwandelbarsten alten Kulte auch gerade die störendsten und am wenigsten neue und tolerante Ideen fördernden sind — ein unseliger Zusammenhang, der sich in der Regel selbst und gegenseitig erhält.
Es ist also nicht selten notwendig, gegen falsche und nicht mehr zeitgemäße Ideen mit einigem Nachdruck, wenn nicht sogar gehörigem überdruck vorzugehen, da gerade die entscheidenden Komponenten nur durch kraftvolle Argumentation verändert werden können.