22 Atlantis – Santurin

Santorini ist auf der Landkarte keine große Insel. Daß sie etwas mit dem erhabenen Mythos Atlantis, dessen Namensverwandtschaft zum atlantischen Ozean bereits Riesenhaftigkeit suggeriert, zu tun haben könnte, erschließt sich aus der Vogelperspektive der Landkarte nicht unbedingt.

Doch auch wenn Atlantis in der gemeinsamen Erinnerung unserer Zivilisation romantische Ausmaße derer von König Artus‘ Tintagel und dem heiligen Gral angenommen hat und allein schon daher niemals gefunden werden wird (siehe auch Der heilige Gral ist gefunden), so müssen wir akzeptieren, daß der historische Ursprung des Mythos realweltlicher und bescheidener sich ausgenommen haben muss, als uns das in unserer romantischen Ader heute lieb ist.

Eine ganze Reihe von Argumenten spricht dafür, dass Santorini tatsächlich Atlantis gewesen sein mag.
Platon beschreibt Atlantis (von dem er selbst auch nur dem Hörensagen nach wusste) als einen kreisrunden Stadtstaat, gelegen auf einer Insel, einer Stadt mit goldenen Dächern.

Die Vulkaninsel Santorini ist in der Tat eine beinahe kreisrunde Anlage. Inmitten eines steilen Troges, der im Innern heute unter Meerwasser steht, ist Platz für eine große Stadt mit einem Naturhafen und einem natürlichen kreisrunden Schutzwall aus Vulkangestein ringsum. Die steilen, teils bis zu 400 m steil ins Meer abfallenden Wände der Vulkan-Caldera prägen heute die Insel ganz entscheidend. Es ist nicht überliefert, wie Santorini vor dem Großen Ausbruch von 1603 v.Chr. ausgesehen hat, doch da derartige Vulkane im Laufe der Jahrtausende selten nur einmal sondern in der Regel wiederholt im Abstand von einigen hundert bis einigen Tausend Jahren explosionsartig ausbrechen, ist es denkbar, daß auch vor 3600 Jahren die Insel bereits aus einem Felsring früherer Ausbrüche und einem durch diesen abgeschirmten Innenbereich bestand. Jedenfalls beschreibt Platon eine solche Struktur für Atlantis.

Im Innenraum von Santorini erhebt sich heute die Spitze eines neuen Vulkans aus dem ruhigen Wasser der beinahe völlig umschlossenen Bucht. Eine beachtliche Insel hat die Wasseroberfläche durchbrochen und bildet bereits wieder ein Eiland kreisrund von Wasser umgeben. Doch dieses Eiland ist erst seit 250 Jahren dort, ist also nach geologischen, selbst nach emph{historischen} Maßstäben geradezu lächerlich jung, betrachtet man seine bereits respekteinflößenden Ausmaße. Erhebt sich dieser Berg noch etwas weiter aus dem Wasser, könnte in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine ähnliche Struktur erreicht sein, wie sie wohl Atlantis einst hatte. Ein schützender Ring aus Fels, darin ein Ring aus Wasser und darin eine Insel mit einer Stadt darauf.

Auch heute ist die Insel Santorini in einer Phase der Ruhe. Das letzte Erdbeben, das die Städte Fira und Oia, die heute wie Zuckerguss auf den steilen Kraterwänden der Caldera thronen stark in Mitleidenschaft gezogen hatte, ereignete sich 1959, vor nunmehr beinahe 50 Jahren. Ein geologisch winziger Zeitraum, doch für Menschen völlig ausreichend um die Städte schöner und prächtiger als zuvor wieder aufzubauen, darin zu leben, Kinder zu bekommen, Handel zu treiben, die Stadt zu erweitern, reich zu werden und dabei völlig zu vergessen, daß sie auf einem Vulkan leben.

Dass diese Insel ein Pulverfass ist, das wissen wir heute, doch die Atlanter wussten von derartigen langwierigen geologischen Zusammenhängen so gut wie nichts. Sie nahmen die Erdbeben als regelmäßig wiederkehrende kleinere und größere Katastrophen in Kauf, wie das auch heute die Menschen tun, die in geologisch aktiven Gegenden leben, wie etwa in Kalifornien, in Japan, auf Island oder in Süditalien.

Dass auch die Atlanter Naturkatastrophen gewöhnt waren kann man aus der Aussage lesen, dass sie vor dem Untergang ihrer Insel gewarnt wurden, aber die Warnungen nicht beachteten.

## Beschreibung, Inhalt, Interpretation

Nun ist man geneigt sich aus dem Sprachgebrauch ein Bild zu machen. Eine Insel die Untergeht, wird assoziiert, dass sie buchstäblich im Wasser versinkt wie ein Schiff (das ja in gewisser Weise auch eine Art Insel ist). Und gewarnt wird man bildlich, indem wohl ein Bote mit einer Botschaft eintrifft und die Warnung mitteilt.
Doch können solche Worte auch je nach Sprachgebrauch ohnehin schon, mehr noch in anderen Sprachen und dann noch überlagert von anderen Konnotationen anderer Zeiten und Kulturen zusätzlich in ihrer Bedeutung schwanken. Ebenso denkbar ist also, dass die Warnung in Form von der Katastrophe vorausgehenden Erdbeben erging, die die Atlanter jedoch in den Wind schlugen, weil Erdbeben für sie nichts besonderes waren. Ebenso mag eine Insel und eine darauf befindliche Stadt untergehen, indem sie einfach zerstört wird. Auch die Eruption eines Vulkans lässt eine davon betroffene Stadt untergehen, wenn auch nicht wortwörtlich sondern nur noch in der metaphorischen Bedeutung des Wortes.

Die goldenen Dächer in der Beschreibung von Atlantis mag man ernst nehmen oder nicht. Sie mögen im Mythos von Atlantis ein Symbol dafür sein, dass die Stadt sehr wohlhabend war, jedoch nicht buchstäblich goldgedeckt war. Sie mag auch bedeuten, dass die Stadt sehr wohlhabend war und einige repräsentative Herrschergebäude sowie bedeutende Sakralbauten tatsächlich goldene oder goldfarbene Dächer hatten – unvorstellbar ist dies nicht. In Thailand gibt es entsprechende Bauten.
Was im Zusammenhang des wirtschaftlichen Reichtums erheblich für Santorini spricht, ist seine Lage. Atlantis war eine reiche Stadt. Und reiche Städte waren auch in der Antike immer Handelsstädte. Handel bringt Geld, aufgrund der Knappheit von lokal nicht verfügbaren Importgütern mehr als nur lokales Wirtschaften mit lokalen Gütern. Und dass in vor-antiker Zeit bereits umfangreich Handel getrieben wurde, ist aus vielerlei Funden von Exportgütern in ganz Südeuropa, dem vorderen Orient und angrenzenden Gebieten bekannt und belegt. Bis zur Ostsee und nach Stonehenge gelangten in dieser Zeit Kunstwerke aus dem Mittelmeerraum.
Die Handel treibenden Großmächte dieser Zeit sind die Großmächte der Region von heute. Das antike Ägypten, die Minoer auf Kreta, die mykenische Kultur auf dem Pelopones, die Phoenizischen Kaufleute im heutigen Syrien und auf Zypern, sowie, verschiedene Kulturen in Kleinasien, die 1000 Jahre zuvor in einem großen Krieg gegen die Mykener und ihre Verbündeten bitter geschlagen wurden. Homer berichtet davon.

Dass in diesem kulturell hochentwickelten und aktiven Gebiet also Handel und kultureller Austausch in Großem Stil stattfand liegt auf der Hand. Wenn man die berühmten minoischen Wandmalereien von boxenden oder Fisch tragenden Jünglingen oder aristokratischen Damen betrachtet, fällt auf, dass sie in ahnlichem Stil gemalt sind, wie die ägyptischen Malereien: Gesicht im Profil, Arme vor und hinter dem Körper, beide Schultern zu sehen, beide Beine zu sehen. Zieht man erneut die Landkarte unter diesem neuen Gesichtspunkt zu Rate fällt nun auf: Santorini ist die südlichste Insel der südlichen Kykladen. Die Kykladen liegen so eng beieinander, dass man jede Insel von jeder anderen aus sehen kann, das Meer ist hier nur wenige Meter tief und die Inseln beinahe wie ein zusammenhängendes Land. Für jeden, der sich von Süden nähert, insbesondere von Kreta oder Ägypten oder Zypern aus, ist Santorini wie das Tor zur Ägäis. Es ist absolut vorstellbar, dass hier Handelsschiffe in dem großen Naturhafen aus dem gesamten östlichen Mittelmeer anlegten, um ihre Waren auf den Markt der Kykladen und weiter nach Norden zu bringen. Es ist auch denkbar, dass die hier liegende Kriegsflotte den Handelsschiffen gar keine andere Möglichkeit lies, als hier anzulegen. Die Minoer hatten zweifellos gute Schiffe. Bereits 900 Jahre früher hatte der mykenische König Agamemnon laut Homer 10.000 Schiffe gegen Troija in Marsch gesetzt. Selbst wenn es in Wahrheit nur ein Bruchteil war, zeigt es das Offensichtliche: ein Inselreich wie die Ägäis beherrschte man, wenn man eine Seemacht war, und das waren die Minoer ebenso wie ihre Partner auf Santorini. Santorini war reich und mächtig. So reich wie Atlantis.

Auch die geographische Schlüsselposition spricht also für die Entstehung einer prä-antiken Metropole. Ganz im Gegensatz im Übrigen zu der Lage, die Atlantis nach Platons Aussage hatte: jenseits der Säulen des Herakles, damit war in der Antike wohl Gibraltar gemeint, also im Atlantik.
Allerdings war man in dieser Zeit auch davon überzeugt, dass dort draußen im Atlantik Ungeheuer wüten und dort auch das Ende der Welt sein müsse von dem man herunterfallen kann, wenn man sich zu weit hinaus wagt. Ob jenseits der Säulen des Herakles also zu Platons Zeit vielleicht ein geflügeltes Wort war für ‚jwd‘ (janz weit draußen) oder ‚irgendwo, keiner weiß wo‘, oder ob sich Platons Quelle in dem dereinst so beliebsten Sport der Übertreibung betätigte ist alles nicht mehr rekonstruierbar. Jedenfalls wäre es aber sicherlich bedeutend schwieriger die obige Indizienkette aus lukrativer, wirtschaftlich begünstigter Lage, Aussehen der Insel und dramatischen Schicksal für einen alternativen Standort im Atlantik zu entwickeln. Ganz zu schweigen davon, dass dort draußen jeder archäologische Hinweis auf eine reiche Handelsmetropole der Zeit fehlt.

Wie man weiß war zwar auch der im Auftrag der spanischen Krone segelnde Genueser Christobal Colon 1492 kaum der erste Abgesandte der alten Welt, der bis nach Amerika kam – Thor Heyerdahl wies die generelle Machbarkeit nach und seine Pyramidenfunde auf den Kanaren zeigen, daß Schiffahrt im Altertum mindestens bis dorthin aber wahrscheinlich sogar bis in die Karibik stattfand. Von den dortigen Pyramiden ist nach wie vor ungeklärt, ob sie unabhängig oder nach Vorbild der ägyptischen Pyramiden entstanden. In jedem Fall aber war der Handel in der frühen Antike wohl kaum Ozean-überspannend, selbst wenn es bereits singuläre Kontakte gegeben haben mochte.
Wie hätte dann aber ein reicher Stadtstaat etwa auf den Kanaren, auf Madeira oder den Azoren wirtschaftlich funktionieren sollen? Zweitens gibt des dort draußen im Atlantik keine einzige geologische Stuktur, die Platons Beschreibungen derart wiedergibt, wie es Santorini tut und zudem drittens im passenden Zeitraum von einer Katastrophe nicht nur historischen sondern geradewegs Legenden begründenden Ausmaßes heimgesucht worden wäre. Immerhin war der Ausbruch von Thira am 21. August 1603, wie man inzwischen anhand von genauen C14-Holzanalysen sowie von Aufzeichnungen Ägyptischer Papyri ermitteln konnte, eine der heftigsten Naturkatastrophen, die die Menschheit je erlebt hat.

Der moralisierende Teil der Geschichte, die Einwohner von Atlantis seien gewarnt worden, hätten die Warnung aber aus Überheblichkeit ignoriert, weil sie sich durch ihren wirtschaftlichen Erfolg stark und stolz fühlten, mag wirklich so geschehen sein oder auch nicht. Klar ist, dass eine moralische Verbrämung eines Ereignisses von solch kontinentalem Ausmaß in dieser Zeit ein recht häufig vorkommendes Phänomen ist. Und es ist auch völlig offenkundig warum: in einer Zeit in der der Weg von der Katastrophe zur Strafe eines Gottes kurz ist (häufig mangels besserer Erklärungen), ist natürlich auch die Frage nach der Ursache der göttlichen Intervention nicht weit und ebenso die Antwort dann schnell gefunden, moralisierend oder auch von posthumen Neid oder Schadenfreude, oder von schlichter Ehrfurcht getrieben. Reichtum (ansich bereits eine Sünde, jedenfalls in den Augen der armen Mehrheit) – Überheblichkeit – unmoralisch – gottlos – Gott erzürnt – Strafgericht – Untergang. Dies kling nicht nur wie die Schablone vieler antiker Geschichten und Mythen, es ist auch der klassische Plot vom Turmbau zu Babylon, von Sodom und Ghomorrah von Grimms Märchen und eben auch von Atlantis.

Ob nun jedesmal ein Gott erzürnt sein musste, um eine solche Katastrophe Marke Sodom und Ghomorrah oder Atlantis zu entfesseln ist aus heutiger Sicht zweifelhaft, nicht zuletzt, da uns die Zusammenhänge zwischen Vulkanismus und Katastrophe heute geläufig sind. Und ebenso zweifelhaft ist, ob Ausschweifung und Hochmut diese reichen Orte geprägt haben muss oder vielleicht auch Fleiß und Umtriebigkeit. Verführerisch ist dagegen, mit erhobenem Zeigefinger im Nachhinein auf Bauernfängerei zu gehen und am Beispiel der Katastrophe wissend zu warnen, es nur nicht diesen gleichzutun, was dort den Zorn des Gottes gerührt hat. Missbrauch und Geschichtsverfälschung sind sicher kein Machtmittel unserer Tage, sondern waren zu allen Zeiten recht und billig.

## Ausmaß der Katastrophe
Warum wurde der Untergang von Atlantis bis auf Platon weitergereicht und durch ihn bis auf den heutigen Tag? Immerhin liegen zwischen der Katastrophe und Platons Zeit mehr als 1200 Jahre! Kommt die Katastrophe vielleicht sogar in der Bibel vor?

Heute zählt man die Explosion von Santorini 1603 v. zu den heftigsten Naturkatastrophen der gesamten Menschheitsgeschichte. Man nimmt an, dass sie dramatische Verwüstungen im Mittelmeerraum und sogar weltweit verursacht hat. Mehrere Tsunamis als direkte Folge des in mehreren Stufen ablaufenden Ausbruchs hat mit Sicherheit die Küsten des östlichen Mittelmeeres zerstört. Dann folgte ein Ascheregen, der bis nach Kreta, Zypern und Ägypten gereicht haben muss. Die nachfolgende Verdunkelung der Atmosphäre hat wahrscheinlich mehrere Jahre ungewöhnliche Kälte und Dürre in der Region und auch weltweit Kälteeinbrüche und Klimaschwankungen verursacht. Die Stärke des Ausbruchs rangiert zusammen mit dem Yellowstone Vulkan und dem Ausbruch des Tambora unter den stärksten Explosionen, die je in historischer Zeit stattgefunden haben. Offenbar gründen auch die biblischen Plagen, die angeblich der israelische Gott Jahweh über die Ägypter brachte, um die Israeliten freizupressen auf ebendieses Ereignis. Derartige Katastrophen haben stets religionsverändernd oder gar religionsbildend gewirkt (siehe auch Der Chiemgau Meteor), da die dramatischen Vorgänge die Menschen an göttliche Intervention glauben und sie schuldbewußt oder aggressiv darauf reagierten ließen.

Vergleichbare Eruptionen, wie etwa die Eruption des indonesischen Tambora im Jahre 1816 haben Aschewolken hoch in die Atmosphäre geschleudert, die die globalen Temperaturen für Jahre haben sinken lassen. Man führt die sogenannte ‚kleine Eiszeit‘ im Europa des frühen 19. Jahrh. auf die Folgen dieses Ausbruchs in den Jahren davor in Indonesien zurück! Immerhin bewirkte die Aschewolke in Mitteleuropa Schneefall im Hochsommer. In Südchina war wochenlang die Sonne nicht zu sehen, Indonesien lag unter einer dunklen Wolke und war teils meterdick von Asche bedeckt. Diese Asche ist wohlgemerkt hochgiftig, weil lungengängig und tötet Mensch wie Vieh in wenigen Minuten. Die mittelfristigen Folgen waren dramatische Ernteausfälle und Hungersnöte in vielen Teilen der Erde. Doch der Krakatoa-Ausbruch war vermutlich um den Faktor 10 bis 100 kleiner als der des Santorini. Es scheint also nicht zu hoch gegriffen, dass der Ausbruch des Santorini die minoische Kultur, die zu dieser Zeit auf Kreta herrschte und der Sage des Minotaurus zufolge offenbar Macht über die gesamte südliche Ägäis ausübte und zu dessen Kultur sicherlich auch Santorini und damit vielleicht Atlantis gehörte, 1603 v. jäh ein Ende bereitete. Die Hauptwindrichtung der Ägäis ist heute wie damals der Norden. Die Kreter waren damit sogar die Hauptleidtragenden der Santorini-Eruption und ihrer Aschewolken.

Aufgrund ihres plötzlichen Verschwindens wurde die Minoische Kultur selbst ebenfalls als mögliche Quelle des Atlantis-Mythos in Betracht gezogen, vielleicht ist sie es nicht selbst gewesen, aber vielleicht ist sie in Wahrheit zusammen mit Atlantis untergegangen. Auch, dass gewisse Ähnlichkeiten zwischen Atlantis und den Minoern bestanden haben, liese sich so erklären: wäre Atlantis auf Santorini gelegen, wäre Atlantis in engem Kontakt zu den Minoern gestanden, wäre wahrscheinlich Teil des minoischen Kulturkreises und Machtsystems gewesen, was die kulturellen Ähnlichkeiten ohne große Umstände erklärte.

## Keine Belege für Atlantis

Man findet auf Santorini keine direkten archäologischen Belege, daß an der Verbindung Atlantis – Santorini irgendetwas dran ist. Allenfalls die Ausgrabungsstädte Akrothiri, ganz am südlichen Ende der Insel auf der der Caldera abgewandten Seite gelegen, enthält Zeugnisse aus der Zeit unmittelbar vor dem fatalen Ausbruch von 1603 v. Wie Pompeij wurde Akrothiri durch die Eruption völlig verschüttet und aber genau deswegen für die Nachwelt (uns) in einzigartiger Weise konserviert. Damit ist ihre Bedeutung höher einzuschätzen, als die Pompeijs, da man über Rom auch ohne Pompeij viel weiß. Akrotiri ist dagegen 1600 Jahre älter und vielleicht der einzige bekannte Überrest von Atlantis.

In Akrotiri finden sich Hinweise darauf, dass man auf Santorini in der Zeit vor der Eruption groß baute – dreistöckige Häuser waren seinerzeit architektonisch aufwendig und zeigen, dass zumindest die Annahme, dass die Insel seinerzeit in wirtschaftlicher wie kultureller Blüte stand, völlig richtig ist. Es könnte gut sein, dass Akrotiri aber nur eine Kleinstadt im Süden des bedeutenden Stadtstaates war, der den Hauptteil der Insel und das wirtschaftliche und politische Zentrum ausmachte.
Denn eines ist klar: Atlantis ist völlig zerstört worden. Und wenn auf Santorini zum Zeitpunkt des Ausbruches eine Stadt oder Siedlung bestanden haben mag, so ist diese durch den Ausbruch nicht nur zerstört, sondern regelrecht pulverisiert worden! Beim Ausbruch des Santorini ist vermutlich instantan die Sprengkraft von mehreren Tausend Hiroshima-Bomben freigesetzt worden, durch die mehrere Kubik-Kilometer Gestein in die Atmosphäre geblasen wurde. Mutmaßlich erfolgte diese Explosion direkt unter der Stadt, die nach Platon auf dem Zentraleiland erbaut worden war – auf dem Vulkan selbst. Felsbrocken des Ausbruches sind bis Zypern und Kreta geschleudert worden, es ist absurd anzunehmen, dass hier auch nur ein Stein auf dem anderen geblieben ist, der uns heute einen unmittelbaren archäologischen Beleg für Atlantis bieten könnte. Dass man auf Santorini heute also keinen Hinweis auf Atlantis findet, bedeutet als Beweis gar nichts.
Vielleicht hält Akrotiri in dieser Hinsicht aber auch noch einige Überraschungen parat.

## Zugang zu Platon

Warum wurde die Geschichte von Atlantis ausgerechnet in Athen von Platon aufgeschrieben, wenn sie doch ‚jenseits der Säulen des Herakles‘ geschehen sein mag? Würde man den Mythos der zerstörten Stadt dann nicht auch in anderen Geschichten im westlichen Mittelmeer und bei den Stämmen Nordafrikas wiederfinden? Warum nur bei Platon und selbst dort nur so dünn?

Vielleicht schlicht, weil es eben doch nur eine lokal bekannte Katastrophe war. Bereits in Ägypten mag man die dramatischen Folgen der relativ weit entfernten Eruption als von den Göttern oder meinetwegen dem Gott der israelitischen Sklaven verursachte Plagen wahrgenommen haben: eine Flut, ein Ascheregen, der Vieh und Mensch tötet und Mond und Sonne verdunkelt und rot färbt, eine Hungernot wegen ausbleibenden Ernten, nachfolgende Seuchen wegen der vielen verrottenden Kadaver und Leichen – und ein geschickter Nebensohn des Pharaohs (Moses), dieser ausgestattet mit einem ausgeprägtem Gerechtigkeitsempfinden durch die Bildung, die er bei Hofe erfahren hat, ausgestattet mit monotheistischem Gedankengut, das vielleicht über ein paar Jahrzehnte von Echnaton auf ihn kam. Ein Mann, der diese Katastrophen als Zeichen und Zorn des Gottes der Israeliten verkauft und so deren Freilassung aus der Sklaverei erzwingt. Keine Rede ist dort von einer zerstörten oder untergegangenen Stadt. Doch ganz erfunden dürften diese Plagen nicht sein, auch hier dürfte es einen historischen Kern geben und die Zeit ist dieselbe. In Ägyptischen Aufzeichnungen der Zeit finden sich Beschreibungen von plötzlich auftretenden unbekannten Krankheiten, die die Ärzte mit neuen Mitteln zu kurieren suchen, die gut zu chemischen Verätzungen passen, wie sie im Zuge von Ascheregen und Versauerung des Nils aufgetreten sein können.

Der helenische Kulturkreis umfasste zu Platons Zeit das griechische Festland, die Inseln der Ägäis und einige Kolonien an den umliegenden Küsten. Zeittypisch fand Austausch von Gütern und Informationen nach unseren heutigen Maßstäben lokal statt. Es ist also viel naheliegender, dass Platon eine lokal überlieferte Geschichte gehört hat, als eine, die aus einer fernen Welt kam. Denn allzu bekannt dürfte nicht gewesen sein, was genau da vor 1200 Jahren das östliche Mittelmeer erschüttert hatte. Beinahe jeder, der der Eruption zu nahe war, konnte kaum noch etwas weitergeben. Und die Mächte, deren Handelsmetropole Atlantis gewesen sein mochte, hatten in den folgenden Jahren wohl auch mehr mit den Folgen der Katastrophe zu kämpfen, sodass eine tiefere Untersuchung, was mit der Insel passiert sein mochte, wohl nie stattfand. Schnelle Erklärungen der Marke ‚göttliche Intervention‘ befriedigten wohl die meisten Nachfragenden. Und wenige Generationen später waren ganze Kulturen, wie die Minoer und die Mykener verschwunden, ihre Ländereien lagen brach und wurden bald von Nachfolgern besiedelt. Und die glänzende Handelsmetropole zwischen dem südlichen Mittelmeer und der Ägäis war bald nicht mehr mehr, als eine Schauergeschichte, die weitgehend in Vergessenheit geriet.

## Namen

Santorini ist die moderne und christianisierte Form Sant-irini. Der alte Name der Insel ist Thera oder Tira. Der heutige Haupt-Ort heißt Fira, was Thira (mit ti-eitsch) ist. Im griechischen wird $Theta$ als stimmloses ti-eitsch ausgesprochen.

Eine aus der Zeit der Minoer und vor dem Ausbruch wohl wohlhabende Siedlung wird heute als Ausgrabungsstädte Akro-Tiri genannt, Akro- ‚Hohe‘, Tiri ‚Thera‘ (wie Akro-polis, Polis, die Stadt, Akropolis ‚die hohe Stadt‘)
Was, wenn der Erzähler, oder einer seiner Vorgänger, deren mündliche Überlieferung schließlich bei Platon endet ihm gar nicht von einer Insel namens Atlantis sondern Atlan-tiri erzählt hat?

## Heutiges Wissen über Vulkane

Natürlich hat man seinerzeit in der Prä-Antike kaum etwas über Vulkane und erst recht nichts über deren Gefahren gewusst. Dazu waren Ausbrüche zu selten. Die Bewohner umliegender Gebiete schwankten wohl eher zwischen dem außergewöhnlich fruchtbaren Boden vulkanischer Gebiete und den regelmäßig auftretenden Erdbeben. Ausbrüche haben jedenfalls kaum jemanden in der Vergangenheit abgehalten fruchtbare vulkanische Gebiete zu besiedeln. Dass eine Eruption der Stärke des Santorini-Ereignisses 1603 v., welches die gesamte Insel zu einem einzigen Rauchenden Krater macht, war für niemanden abzusehen und ist in dieser Heftigkeit in der gesamten Menschheitsgeschichte auch nur wenige Male weltweit überhaupt so aufgetreten. Vergleichbare Ausbrüche sind singulär wie der Ausbruch des Vesuvio 79 n., das erwähnte Tamora Ereignis 1816, sowie die Explosion des St. Helens 1980. In dieser Reihe steht das Santorini-Ereignis in seiner Stärke unter den Top Drei.

Sicherlich sind einige Bewohner unter den häufiger werdenden Erstößen, die dem Ausbruch vorangingen geflohen. Ob jedoch weit genug, dass der lange Arm der Eruption sie nicht doch noch erreichte, wird wahrscheinlich für immer ungeklärt bleiben. Geschichten, wie die von einer Flucht gen Kreta, die jedoch unter dem Tsunami der Eruption ihr feuchtes Ende nahm, sind wohl kaum durch viele Beweise gesichert, wenn auch im Kern natürlich wenigstens plausibel.

Was blieb, war die Sage einer singulären, vollständigen und restlosen Zerstörung einer blühenden reichen Metropole, ein Untergang der derart spektakulär war und derart radikal, daß sein Echo als Mythos bis in unsere Zeit herüberhallt.

## Resume

Wahrscheinlich ist also Santorini nicht Atlantis, nicht inklusive des ganzen romantischen, esoterischen und sehnsuchtsreichen Ballasts, den der Zeitgeist mit der Idee Atlantis verbindet. Daß jedoch die historische Katastrophe des Santorini Ausbruchs 1603 v. Kern und Hintergrund des Mythos Atlantis sein könnte, das erscheint nicht abwegig. Jeder, der Santorini persönlich kennenlernt, wird diese Schlussfolgerung plausibel finden.

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